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Jede 5. Person, die in der kommerziellen Sexindustrie ausgebeutet wird und gegen ihren Willen zum Sex und zu sexuellen Praktiken gezwungen wird, ist noch ein Kind. Weltweit mehr als 1 Million. (Global Estimates of Modern Slavery – ILO 2017)

Der Missbrauch von Kindern in der sexuellen Ausbeutung hat in den letzten Jahren ein immer größeres Ausmaß angenommen. Weltweit sind es ca.1,8 Millionen Kinder, die zur Pornografie oder Prostitution gezwungen werden und man nimmt an, dass das nur die Spitze des Eisbergs ist. (ILO 2017)
So stieg z.B. die Zahl der Verstöße gegen das Verbot der Verbreitung von Missbrauchsdarstellungen von Kindern im Vergleich zum Vorjahr um rund 65 Prozent, wie aus der jetzt veröffentlichten Polizeilichen Kriminalstatistik (PSK) für 2019 hervorgeht. Die Behörden registrierten demnach 12.262 Fälle.
In Sachen Kindesmissbrauch summierte sich die Zahl der Fälle im vergangenen Jahr auf 13.670.

Ausbeutung von Kindern ist auch in Deutschland ein Problem.

Erst 2019 hat der Lüdge-Prozess viele Menschen erschüttert. Jahrelang wurden Kinder auf dem Campingplatz „Eichwald“ in NRW missbraucht. Die drei Täter wurden den Urteilen des Landgerichts zufolge u.a. wegen (schweren) sexuellen Missbrauchs (§176a StGB) und dem Besitz kinderpornografischer Schriften (§184b StGB) verurteilt.* Der Prozess ist nicht lange her, der Tatort nicht weit weg. Ausbeutung von Kindern ist auch in Deutschland ein Problem. Deswegen sind wir gefragt, Kinder zu schützen, zu selbstbewusstem Handeln zu befähigen und sexueller Ausbeutung insbesondere von Minderjährigen vorzubeugen.
Annika Riewesell, Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.
*Urteil, Landgericht Detmold vom 17.07.2019

Jedes 2. Opfer der sexuellen Ausbeutung war 2018 unter 21 Jahren alt. Die meisten minderjährigen Opfer waren zwischen 14 und 17 Jahre alt. Minderjährige werden z.B. durch Täuschung in ausbeuterische Situationen gebracht. (Bundeslagebild – BKA 2018)

„Ermittlungen in Baden-Württemberg führten im Jahr 2018 zur Zerschlagung eines Pädophilen-Rings und bewahrten damit ein damals 9-jähriges männliches Opfer vor weiterem sexuellem Missbrauch. Das Opfer war durch seine Mutter und deren Lebensgefährten über einen Zeitraum von mehreren Jahren sexuell missbraucht und im Weiteren für Missbrauchshandlungen durch Dritte im Darknet angeboten worden. Die Ermittlungen ergaben, dass mehrere Täter aus Deutschland und dem Ausland anreisten, um sich an dem Jungen zu vergehen. Dafür zahlten die Missbraucher hohe Geldsummen. Insgesamt acht Verdächtige konnten festgenommen werden. Mehrere Männer sowie die Mutter und deren Lebensgefährte wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, einige von ihnen mit anschließender Sicherungsverwahrung.
Kurzbewertung: Der Sachverhalt unterstreicht die besondere Schutzwürdigkeit von Minderjährigen. Seitens der Strafverfolgungsbehörden werden große Anstrengungen unternommen, um auch die kommerzielle sexuelle Ausbeutung von Minderjährigen unter Nutzung des Internets zu bekämpfen.“
Fallbeispiel und Kurzbewertung aus dem Bundeslagebild 2018 (BKA 2019)

Internet und Soziale Medien werden neben der „Loverboy“-Methode häufig verwendet, um mit Kindern und Jugendlichen in Kontakt zu treten. (Bundeslagebild – BKA 2018)

Soziale Medien spielen heutzutage eine immer wichtigere Rolle und sind aus unserem Alltag kaum noch wegzudenken. Das geht nicht nur Erwachsenen so, sondern auch den Kindern. Dabei bieten Internet und soziale Medien viele Chancen und Möglichkeiten, mit Menschen in Kontakt zu treten. Leider kann genau diese Chance von Tätern genutzt werden, um mit den Opfern Kontakt aufzunehmen. „Bei rund jedem vierten Minderjährigen (40 Opfer; 24,4 %) erfolgte sie [=die Kontaktanbahnung] unter Nutzung des Internets. Hier spielten Soziale Netzwerke bei 20 Opfern, Anzeigenportale bei 16 Opfern sowie andere Möglichkeiten, wie z. B. Messengerdienste, bei vier Opfern eine Rolle.“*
aufgeschrieben von Annika Riewesell, Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.
*Bundeslagebild 2018, Seite 30 (BKA 2019)

Bei der „Loverboy“-Methode wird Kindern und Jugendlichen eine Liebesbeziehung vorgespielt, die ein emotionales Abhängigkeitsverhältnis schafft. Dabei nutzen die Täter*innen insbesondere deren fehlende sexuelle Selbstbestimmung, Naivität und mangelnde Lebenserfahrung aus. (Bundeslagebild – BKA 2018)

Eine besonders perfide Art vorwiegend junge Mädchen ab 11 Jahren in die Prostitution zu führen, ist die Loverboy Methode.
Hierbei täuscht ein junger Mann dem jungen Mädchen die große Liebe vor und macht sie emotional von sich abhängig, um sie dann dazu zu bringen, sich für ihn zu prostituierten. Diese Mädchen sind, wie die anderen Kinder auch, ihr Leben lang traumatisiert. Sie werden völlig von ihrem Elternhaus und ihren Freunden isoliert, werden drogenabhängig gemacht und ein Teil von ihnen taucht nie mehr auf. In der Präventionsarbeit an Schulen zu diesem Thema erleben wir seit Jahren, dass in jeder Klasse 1- 2 Mädchen davon betroffen sind – Tendenz steigend.
Liebe ohne Zwang – Netzwerk gegen Menschenhandel 2019

Kinder, die zum Sex gezwungen werden, sind meistens nicht in der Lage, selbst Anzeige zu erstatten. Sie schämen sich für das, was ihnen angetan wird, haben Angst vor Gewalt durch die Täter*innen und fürchten sich vor der Polizei. (Bundeslagebild – BKA 2018)

Kinder, die in dieses Gewerbe gezwungen werden, merken meist nicht, dass das, was mit ihnen geschieht, falsch ist. Sie vertrauen der Person oft, wenn sie aus dem persönlichen Umfeld kommt und denken, dass das was mit ihnen passiert‚ einfach sein muss und zum Leben gehört.
Wenn dann aber die Angst und der Schmerz überhand nehmen und sie sich wehren wollen, werden sie erpresst und durch Bedrohungen und Gewalt mundtot gemacht. Sie schaffen es alleine oft über Jahre nicht diesem Gefängnis zu entfliehen und ihre kleine Persönlichkeit wird Stück für Stück zerstört.
Kerstin Schmitt, Windrose e.V.

 

Die Expertengruppe der EU für Menschenhandel fordert Deutschland dazu auf, minderjährige Opfer besser zu unterstützen, die Identifizierung zu erleichtern und erforderliche finanzielle und personelle Ressourcen zur Verfügung zu stellen. (Recommendation CP(2015)2 - Council of Europe 2015)

2005 wurde durch den Europarat ein Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Menschenhandel beschlossen. GRETA ist eine Expertengruppe, welche die Umsetzung dieses Übereinkommens überwachen soll. Sie erstellt regelmäßig Berichte und gibt Empfehlungen an die einzelnen Länder weiter. 2019 wurden u.a. folgende Empfehlungen an Deutschland weitergegeben: die Entwicklung eines nationalen Aktionsplans zur Bekämpfung von Menschenhandel, verbesserte Identifizierung und Unterstützung von minderjährigen Opfern sowie die Gewährleistung sicherer Unterkünfte. Außerdem soll für die Kinder rechtzeitig ein Vormund ernannt werden sowie ein Bedenk- und Erholungszeitraum vor Verhandlungen sichergestellt werden.*
Annika Riewesell, Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.
*Council of Europe: Recommendation on the implementation of the Council ofEurope Convention on Action against Trafficking in Human Beings by Germany, 2019