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Menschenhandel und Prostitution stehen in enger Verbindung zueinander. Die Nachfrage nach Frauen in der Prostitution, ob gehandelt oder nicht, ist die gleiche. Menschenhandel wird dabei zum Mittel, um ein größeres Angebot an Frauen und auch Minderjährigen auf die Prostitutionsmärkte zu bringen. (Sexuelle Ausbeutung und Prostitution und ihre Auswirkungen auf die Gleichstellung der Geschlechter – Europäisches Parlament 2014)

Eine Turnhalle irgendwo in Bosnien-Herzegowina. Eine Gruppe junger Frauen, manche erst 17 Jahre, wird dort hineingetrieben und muss Aufstellung nehmen. Sie wurden aus Moldawien, einem der ärmsten Länder Europas, dorthin geschleust. „Ausziehen!“ werden sie angebrüllt, und so stehen sie verängstigt und splitternackt vor brutalen Zuhältern, die sie nun ausgiebig begutachten und Preise für jede einzelne Frau festlegen… 1500, 2000, 3000 Euro. Ihre neuen Besitzer bringen sie in ein schmuddeliges Bordell, wo sie „lernen“ müssen, was sie fortan zu tun haben. Nach wenigen Wochen werden die Frauen nach Italien weitergehandelt. Jetzt kostet jede Frau schon bis zu 20.000 Euro. Das ist nicht viel, denn dort wird sie Tag und Nacht auf den Straßenstrich getrieben und bringt ihren Ausbeutern damit bis zu 25.000 Euro ein – im Monat. Ein lukratives Geschäft, denn eine Frau kann wieder und wieder benutzt werden! Die Frau dagegen geht leer aus. Leer und wie tot wird auch ihre Seele, und die vielen traumatischen Erlebnisse werden sie nie wieder verlassen!
2007 erzählt von einem Opfer aus Moldawien, aufgeschrieben von Manfred Paulus in seinem Buch Organisierte Kriminalität – Menschenhandel Tatort Deutschland, 2014

Weltweit sind ca. 3,8 Millionen Erwachsene Opfer sexueller Ausbeutung. Dabei ist das Risiko, Opfer zu werden, stark von dem Geschlecht abhängig. 99% sind Frauen. Deshalb müssen ihre Rechte gestärkt werden. (Global Estimates of Modern Slavery – ILO 2017)

Eine Frau zu sein, ist in vielen Teilen der Erde gefährlich. Frauen wird oft das Recht auf Selbstbestimmung abgesprochen, weil es in vielen Kulturkreisen „schon immer“ so war. Mädchen werden viel zu früh verheiratet, damit in der Familie ein Esser weniger zu ernähren ist. Junge Frauen werden ins Ausland geschickt, um dort  gutes Geld zu verdienen, um die Familie in der Heimat zu unterstützen. Junge Mütter lassen ihre Kinder zurück, um ihnen ein besseres Leben zu ermöglichen. All diese Umstände nutzen Menschenhändler aus, um Mädchen und Frauen in die Prostitution zu locken. Oft aus Verantwortung für ihre Familie ergeben sich die Frauen in ihr Schicksal. Das Recht auf „Nein heißt nein!“ haben sie nicht.
Statement von Angela Fischer, Kontaktperson Anti Human Trafficking der Heilsarmee in Deutschland

Deutschland ist sowohl Herkunfts- Transit- als auch Zielland für Frauen und Kinder, die Opfer des Sexhandels werden. (Trafficking in Persons Report – Department of State USA 2017)

Mitten unter uns, in unseren Städten und Dörfern, blüht ein Geschäft mit dem Sex, das den SPIEGEL 2013 dazu brachte, seine Titelstory dem „Bordell Deutschland“ zu widmen (Ausgabe 22/2013). Durch das Prostitutionsgesetz von 2002, das Prostitution zu einem „normalen Beruf“ erklärte, fielen die Hemmschwellen für die Männer und die Nachfrage stieg. Darauf stellten sich Bordellbetreiber, Zuhälter und Menschenhändler ein, vergrößerten das Angebot, was wiederum die Nachfrage ansteigen ließ. Ein Teufelskreis, denn nun wird immer mehr „Frischfleisch“* benötigt – je jünger, desto besser! Unzählige Mädchen und Frauen werden aus dem ärmeren Osteuropa nach Deutschland gelockt, um hier im Bordell oder auf dem Straßenstrich anzuschaffen und so ihren Zuhältern Millionenbeträge in die Taschen zu spülen. Nicht selten werden sie ins Ausland weiter „verkauft“. Aber auch deutsche Mädchen landen durch die sogenannte Loverboy-Methode in der Prostitution.
*besonders erniedrigende Bezeichnung des Milieus für immer wieder neue, noch „frische“ Frauen
Zusammengefasst von Angela Fischer, Heilsarmee Deutschland

Die Prostitution in Deutschland ist geprägt von jungen, unerfahrenen Frauen vornehmlich aus Rumänien oder Bulgarien, die unter prekären Lebensbedingungen in der Prostitution mit Dumpingpreisen und gesundheitsgefährdenden Leistungen „arbeiten“, ihr Geld abgeben (an Betreiber, Zuhälter, Herkunftsfamilie) und häufig Gewalt erfahren. (Menschenhandel und Zwangsprostitution in Europa – Stellungnahme Frauenrecht ist Menschenrecht e.V. 2014)

Eines Abends gingen wir wieder raus auf die Straße. Streetwork. Hier stehen viele Bulgarinnen, Ungarinnen und auch Rumäninnen. Heute steht eine neue Osteuropäerin hier, wir haben sie bisher noch nicht gesehen. Es ist ihr erster Tag. So viel Not und Verzweiflung. Sie möchte das nicht. Man sieht es ihr an. Sie ist so jung und unerfahren. Ihr Freund hat sie nach Deutschland gebracht. Leider hat er keine Arbeit gefunden. Hat er wirklich gesucht? Wir wissen es nicht. Sie haben ein Baby. Bevor das Baby hungern muss, stellt sie sich auf die Straße. Es ist ihr zuwider. Sie sagt es uns, aber sie hat keine Wahl. EU-Bürger haben in der Regel keinen Anspruch auf Sozialleistungen, wenn sie arbeitssuchend sind. Nun sehen wir sie jeden Tag. Ihre anfänglich so jungen und weichen Gesichtszüge werden langsam härter. Sie redet nicht mehr darüber, dass sie sich etwas anderes erträumt hat. Sie ist doch freiwillig hier, oder? Niemand hat sie dazu gezwungen, oder?
Erfahrungsbericht: Neustart e.V.

Etwa 90 Prozent der prostituierten Frauen in Deutschland sind entweder Betroffene von Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung oder prostituieren sich aus einer sozialen oder persönlichen Notlage heraus, davon gehen einige Experten aus. (Sporer 2013: 5; Andrick 2012)

In einem Interview mit Lightup Germany e.V. sagte Sandra Norak, die selbst Betroffene der Loverboy-Methode war: „Wenn man tiefer blickt, sieht man, dass die Lebensumstände die Menschen in die Prostitution gezwungen haben. Es ist wie wenn jemand von einem brennenden Gebäude springt – man kann natürlich sagen, derjenige hat freiwillig gewählt zu springen. Man kann aber auch sagen, diese Person hatte keine Wahl. Ich möchte nicht leugnen, dass es Menschen gibt, die sich prostituieren und für die es okay sein mag, aber das ist nicht die große Masse, sondern nur ein kleiner Bruchteil. Für die große Masse bedeutet Prostitution, gefangen zu sein. Gefangen in einem Leben voller Gewalt und voller Lügen. Prostitution bedeutet für diese Menschen ein enormes Ausmaß an unsagbarem, nie wieder gut zu machendem Leid.“
Freethem Deutschland e.V. –  Jahresbericht 2017: 25

167.000 Menschen in Deutschland sind laut Schätzungen Betroffene des Menschenhandels (Global Slavery Index – Walk Free Foundation 2016). Durch polizeiliche Ermittlungen wurden jedoch nur 503 Opfer erfasst, 430 davon waren Opfer sexueller Ausbeutung (Bundeslagebild – BKA 2018). Es ist also von einer weit höheren Dunkelziffer auszugehen.

Als Missbrauchsopfer in einem gerichtlichen Prozess auszusagen, erfordert viel Mut und Kraft. Die Betroffenen sind dazu gezwungen, das Geschehene immer und immer wieder zu wiederholen und Tatvorgänge im Detail zu schildern. Allein das ist für einige Betroffene schon Grund genug, den Prozess nicht bis zum Ende durchzuhalten.
Im Falle des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung kommen weitere erschwerende Bedingungen hinzu: Menschenhändler und Zuhälter nutzen Druckmittel, um die Betroffenen in ihrer Gewalt zu halten. Sie bedrohen zum Beispiel das Leben der Kinder, der anderen Familienangehörigen oder der Person selbst, sollte diese versuchen zu fliehen. Glückt den Betroffenen die Flucht dennoch und sie erstatten Anzeige, müssen sie, wie andere Missbrauchsopfer auch, erniedrigende Prozeduren und alles, was ihnen widerfahren ist, im Detail beschreiben. Einige sind aber so traumatisiert, dass sie sich nur an wenig oder mitunter sogar an nichts erinnern können. Zusätzlich leben sie in ständiger Angst davor, dass ihren Angehörigen etwas angetan wird. Und sollte die Person keine europäische Staatsangehörigkeit haben, besteht außerdem die Gefahr einer Abschiebung.
Nadia Burdenski, Gemeinsam gegen Menschenhandel e.V.